Das Übel bei der Wurzel packen, oder: Die Wichtigkeit einer Session 0, Teil 1

(Anmerkung vorweg: Ich benutze häufig männliche Nomen und Pronomen. Das passiert aus dem Schreibfluss, ist nicht abwertend gegenüber den vielen weiblichen und nicht-binären Spieler*innen gemeint und wird mir hoffentlich nicht krumm genommen.)

Langsam dreht sich der Halblingsdieb um, nimmt schmunzelnd dem Meuchelmörder und seiner Truppe, welche in einem schmutzigen und harten Kampf in der düsteren Allee gerade so bezwungen worden, den Geldbeutel ab, als der blutverkrustete Krieger mit der Augenklappe und dem sächsischen Akzent wie aus dem Nichts neben ihm steht.

„Gib mir das Gold“  

„Was, nein, das hab ich mir erkämpft! Er hätte mich fast erdolcht! Außerdem werfen wir das in unsere Abenteuerkasse, für Heiltränke!“

„Ich nehme dem Sausack das Gold ab. Der ist die ganze Zeit nur im Schatten verschwunden, hat nichts gemacht und lootet jetzt die Leichen. Ich würfel auf Athletik!“

„Pah, nix da. Ich konkurriere mit Akrobatik, mache eine Rolle nach vorne und steche Christian ab. Geht gar nicht, hier auf meinem Bogen steht, ich bin goldgierig, das ist nur In Character was ich hier mache. Nimm das Glas runter, ich warne dich, wenn du mich jetzt hier…“

Und im Off ertönt das leidvolle Seufzen des Spielleiters…

Ihr kennt das? Nach zähen Ringen habt ihr endlich einen Termin gefunden und mitten im Spiel eskaliert wieder die Situation, weil Freund A und Kumpel B, die nur noch an zwei entfernten Enden des Tisches sitzend über Mittelsmännern kommunizierend sich wieder an die Gurgel gehen? Im schlimmsten Falle sitzt Kollege C mitten drin, liest die Fußball-Neuigkeiten an seinem Handy („jaja, ich applaudiere denen zu. Boah krass, FC Bayern heute…“) während Buddy D verwirrt „Wo stehen nochmal meine Zauber? Ich bin doch ein Warlorcerer, oder wie war das?“ dazwischenruft. (Anmerkung: Es können genauso gut Frauen sein. Die sind zwar allgemein besser organisiert und kommunikativer als männliche Pendants, aber auch nicht vor Eskalationsmomenten gefeit.)

Willkommen in der Rollenspielhölle. Doch das muss nicht sein, denn wie so oft kann die Lösung einer solchen Situation recht einfach sein, wenn man es planerisch geschickt angeht. Bevor die Ehe beim Therapeuten endet oder die Rollenspielgruppe abends im Streit das Haus verlässt, hilft eins:

Reden.

Doch was wir schon im Alltag oft zu selten und wenn, dann sehr falsch, angehen, misslingt an einem Spieltisch, bei dem Egos zusammenkommen, umso mehr.

Um solche Situationen zu verhindern, hat sich eine Session 0, oder Gruppenvertrag, oder Orga-Runde – wie auch immer ihr das nennen wollt – bezahlt gemacht. Früher war so etwas irgendwie noch gang und gäbe, hatte doch meistens nur der Spielleiter die Regelwerke daheim (deswegen war man ja Spielleiter, keiner wollte das Spielerhandbuch nochmal kaufen, weil teuer und Stephan hats ja eh schon gelesen und kennt die Regeln. Danke auch.) und so traf man sich abends bei einem Kaltgetränk im Zimmer und generierte gemeinsam Charaktere. Das war aber 1995, wir waren alles Freunde und da konnte man sich eh Dinge anders mitteilen. Wie sieht das 2019 aus?

Teil 1: Sprecht in einer Session 0 eure Eckpfeiler ab

Rollenspiel ist genau das: ein Spiel. Ein solches soll Unterhaltung bieten, doch kann man unterschiedlich unterhalten werden. Jeder sollte einbringen, was für Spielelemente ihm Spaß machen – und als Spielleiter solltest du dir Notizen machen! Ja, schreib das auf, viele Studenten sind an dem „Ich merk mir das bis nächste Woche“ gnadenlos gescheitert und auch du wirst bei mehreren Mitspielern dankbar sein, dir Dinge aufgeschrieben zu haben. Dies ist vor allen Dingen dann umso wichtiger, wenn deine Mitspieler eben NICHT aus deinem langjährigen Freundeskreis kommen und eventuell wild zusammengewürfelte Menschen aus der #pnpde Community sind. Ein paar Aspekte, die zum Spielspaß gehören, sind meiner Meinung nach:

  • Wie ist die generelle Atmosphäre des Spiels? Spaßig oder ernst, Horror oder kunterbunte Spielwelt? Als Spielleiter sollte man dafür sorgen, dass die Spieler Spaß haben und nicht das eigene Spiel den Tisch dominiert. Ist ja toll, wenn dir Cthuluh-Lovecraft-Schocker gefallen, aber wenn deine Spieler lieber klassische Abenteurergene besitzen und mit düsteren Momenten nichts anfangen können, bringt dir das nichts.
  • Worauf legt ihr mehr Wert, soziale Interaktionen oder Kampfsequenzen? Natürlich kommt in einem Rollenspiel beides vor. Aber manchen Gruppen liegt das eine mehr, als das andere. Ich habe mal Murder in Baldur’s Gate mit einer Spielrunde angefangen. Als den Spielern klar wurde, dass sie mitten in einer großen politischen Intrige steckten, kamen sie auf mich zu und sagten „Stephan, sicher ein tolles Abenteuer, aber das ist nichts für uns.“ Unnötig, wie froh ich darüber bin, dass meine Spieler jederzeit mit mir reden wollen und keine Angst hatten, mir vor den Kopf zu stoßen, denn ich habe vor Begeisterung gar nicht darüber nachgedacht, wie es den Spielern gefällt.
  • Wie geht ihr mit Spieler vs. Spieler Konflikten um? Ja klar, man ist sich nicht immer grün. Aber muss jede Meinungsverschiedenheit in einem konkurrierenden Fähigkeitenwurf ausgetragen werden? Hier ist auch der ideale Punkt, um zu verdeutlichen, dass ihr euch treffen wollt, um SPASS zu haben. Das bedeutet, auch mal locker lassen zu können und über sich zu lachen – was eventuell aber banal klingt, ist für einige Spieler am Tisch unmöglich (und das ist eine sehr unangenehme Situation). Lieber hier vorher festlegen, wie Konflikte ausgetragen werden. Tipp für den Spielleiter: Bring deinen Spielern hier bei, in eine Meta-Ebene zu wechseln. Es ist legitim, im Spiel zu sagen „okay, mir wäre das egal, ob du das Gold nimmst, aber mein Schurke sieht das vermutlich völlig anders. Deswegen kneift Glindifil die Augen zusammen, zischt in deine Richtung und presst ein „Widerlicher goldgieriger Zwerg“ hervor!“ Dann weiß der ganze Tisch, dass es nicht der Spieler, sondern der Charakter ist. Ohne diese Info kommt es eventuell aber verfänglich herüber…
  • Was erwartest du als Spielleiter von deinen Spielern? Auch das ist für mich elementar. Wenn du den Spielern nicht klar machst, dass deine Spielwelt sehr viel Hintergrundwissen benötigt und sie ohne eben jenes in eine Sitzung kommen, Junge, das wird eine zähe Angelegenheit. Es gibt so etwas wie soziales Benehmen 101, die Grundlagen des Umgangs miteinander. Oft ist dies den Teilnehmern eines Spiels aber nicht bewusst (es ist ja auch nur ein Spiel) und zack hat man diesen einen Mitspieler in der Runde, der einfach nie redet, nichts sagt, mit keinem NSC oder SC spricht und wortlos verschwindet. Hey, ja cool, nächste Woche dann wieder… oh, er ist schon offline. Toller Kerl! Genauso solltest du sehr deutlich machen, was für Hintergrundinformationen zu den Charakteren du benötigst – und vergiss nicht zu fragen, ob deine Spieler überhaupt wollen, dass ihre Charakterstories Teil des Spiels sind. Ich habe Spieler erlebt, denen es furchtbar egal ist, ob ihre vier Seiten Geschichte überhaupt im Spiel nochmal wieder verwendet werden – andere hingegen empfinden sehr großen Spaß daran, ihre Geschichte weiter zu entwickeln. Da dies aber den Rahmen sprengt und ich es immer hasse, etwas zu sagen, was schon in besserer Form da war, verweise ich auf den Youtube Kanal von Guy Sclanders, aka „How to be a great GM“ – Dieses Video solltest du UNBEDINGT angesehen haben: How to be a Great Game Master, Titel: 10 Ways to Help Create Epic Backstories for your Players – Game Master Tips, (URL: https://www.youtube.com/watch?v=ymQkySxdlDw, zuletzt besucht am 10.06.2019)
  • Wo sind eure Grenzen – was geht gar nicht? Erst neulich bin ich auf Veils, Lines, Flower Systems aufmerksam gemacht worden. Diese aus dem Online-Spielrunden kommenden Gesten (Vielen Dank an Tahina Andale an dieser Stelle – eine unglaublich tolle Spielleiterin wie Spielerin) sollen helfen, dass Themen, die einem sehr nahe gehen, abgewürgt und nicht weiter ausgespielt werden. Dennoch sollte man natürlich vorher gesagt haben, was man nicht in einem Spiel haben will. Erst kürzlich, also Juni 2019, war auf Twitter ein Beitrag in aller Munde, in dem eine Spielerin von ihrem schlimmsten Erlebnis auf einer Con im Vereinigten Königreich erzählte. Der Spielleiter begann die Spielrunde wohl damit, allen geschockten Teilnehmern klar zu machen, dass sie gerade nach einer Massenvergewaltigung aufwachen. Klar ist hier die Grenze guten Geschmacks und klaren Menschenverstandes überschritten worden. Aber stell dir vor, du lässt einen Charakter in eine Falle tappsen, er geht langsam in Schlick unter und droht, zu ersticken – und der Spieler steht auf, beendet unter Tränen das Spiel und du erfährst, dass er als Kind mal fast ertrunken wäre? In einer Session 0 gehört es zum guten Umgangston, einander mitgeteilt zu haben, wo die persönlichen Grenzen des Spielspaß sind und was man nicht erleben möchte.

Das war der 1. Teil zum Thema Session 0. Ich hoffe, dass ich hier ein paar Tipps anbringen konnte, die dir als Inspiration dienen oder helfen, mehr Spaß am Spieltisch zu haben. Im nächsten Teil möchte ich gerne mehr ins Detail gehen und über Spielmechaniken und wie man diese in einer Session 0 bespricht, schreiben. Wenn du aber bis hier hin durchgehalten hast, gebührt dir neben meinem Lob aber auch die Möglichkeit, als Kommentar gerne deine ehrliche Meinung, Anregungen für einen 2. Teil oder Anderes zu verfassen!

5 Kommentare zu „Das Übel bei der Wurzel packen, oder: Die Wichtigkeit einer Session 0, Teil 1

  1. Anmerkung zur Anmerkung: Vielleicht stellt sich der Schreibfluss mit ein bisschen Gewöhnung ja wieder ein, wenn du statt eines 2-3-zeiligen Disclaimers ein paar Sekunden bei einem Teil der Worte verweilst (oder auch im Anschluss) und sie ggf. umformulierst. Natürlich sind solche Disclaimer ein Klassiker – aber man muss es ja nicht machen wie alle?

    Nein, nehme ich dir nicht krumm – und du mir hoffentlich auch nicht. Soll nur zum Nachdenken anregen.

    Finds cool, dass du dich abends einfach noch hingesetzt und einen Text verfasst hast du. Und schick ist der erste Teil geworden, also: inhaltlich natürlich.

    Falls hier hin und wieder mit Beiträgen zu rechnen ist, wäre übrigens https://rsp-blogs.de vielleicht was für dich/euch?

    Liebe Grüße!

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    1. Erst einmal Danke dir für deine Amerkung zur Anmerkung, ich merke jetzt zur Anmerkung zur Anmerkung an: Recht haste 🙂 In Zukunft werd ich glaube ich auch mindestens noch einmal eine Nacht drüber schlafen und es dann veröffentlichen! Rsp-blogs.de kannte ich nicht, werde ich auf jeden Fall bei schauen! Liebe Grüße 🙂

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  2. Keine Ahnung, ob mein Beitrag verschluckt wurde oder erst freigegeben werden muss, also sicherheitshalber noch mal:
    Anmerkung zur Anmerkung: Vielleicht stellt sich der Schreibfluss mit ein bisschen Gewöhnung ja wieder ein, wenn du statt eines 2-3-zeiligen Disclaimers ein paar Sekunden bei einem Teil der Worte verweilst (oder auch im Anschluss) und sie ggf. umformulierst. Natürlich sind solche Disclaimer ein Klassiker – aber man muss es ja nicht machen wie alle?
    Nein, nehme ich dir nicht krumm – und du mir hoffentlich auch nicht. Soll nur zum Nachdenken anregen.
    Finds cool, dass du dich abends einfach noch hingesetzt und einen Text verfasst hast du. Und schick ist der erste Teil geworden, also: inhaltlich natürlich.
    Falls hier hin und wieder mit Beiträgen zu rechnen ist, wäre übrigens https://rsp-blogs.de vielleicht was für dich/euch?
    Liebe Grüße!

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